HörMöwe 2022 gewonnen

Die HörMöwe, der Hörfunkpreis der Bürgermedien Hamburg und Schleswig-Holstein, wurde am 19. November 2022 zum 23. Mal vergeben. Ausgezeichnet wurden die originellsten, informativsten und handwerklich besten Sendebeiträge im Bürgerfunk.

Gewonnen haben wir in der Kategorie Regionalpreis Elbstrand/Journalistischer Beitrag den Preis für Interview, Reportage, gebauter Beitrag oder Umfrage, bis ca. 15 Minuten. Er ist mit einem Preisgeld von 300 Euro dotiert.

Ausgezeichnet wurde das Interview mit Julia Gerasch, Vorständin im Intergeschlechtliche Menschen Landesverband Niedersachsen e.V., aus der Pink Channel trans Edition (Cornelia Kost und Daniel Schiano).



Danke an unsere Mütter Ricarda und Claudia von der Dyke* Edition und dem Team vom Pink Channel. Ganz besonderer Dank geht an Julia Gerasch für das berührende und preiswürdige Gespräch.

„Hauptsache nicht Anke“ – die trans Edition vom Pink Channel
– jeden 5. Samstag im Monat! 19-20 Uhr
TIDE
www.tidenet.de/radio
96.0 UKW – 95,45 Kabel – DAB+
#inter #trans #dyke

Alltagstest, aber wie?

Aus dem TS-Journal. 2/1985, Seite 16-18: Alltagstest, aber wie?

In einer Situation, in der die Hormone faktisch noch nicht angeschlagen haben, in den Alltagstest einzusteigen, ist ein Spiel mit dem Leben. Als ich damit begann, konnte ich nicht mehr zurück. Nicht nur, weil ich mich in aller Augen unglaubwürdig gemacht hätte. Ich konnte und wollte meine alte Rolle nicht mehr annehmen, zu lange hatte ich unter ihr gelitten. Alte Probleme habe ich gegen neue eingetauscht. Mein Leben ist schwieriger geworden, anstrengender. Es ist aber, nach außen hin, nicht mehr die Lüge, die es war. Ich fühle mich jetzt “richtig”. 

Als wirkliches Problem hat sich viel stärker mein Körper herausgestellt. Die Widersprüche sind unerträglich. Ich habe starke Minderwertigkeitsgefühle den anderen Frauen gegenüber. Solange ich noch so leben muß, werde ich mich nicht integriert fühlen. Die meisten anderen Probleme des Alltagstest entstehen in meinem Kopf, Resultate meiner Angst – wie die Schlußszene zeigt, die Mädchen nehmen in Wirklichkeit kaum Notiz von mir.  Es gibt Probleme mit Jugendlichen in der Nachbarschaft. Vor allem mit Leuten, die meine alte Rolle kennen und nicht mit mir sprechen können.
Zum Praktischen muß ich sagen, daß ich mich weigere, mich wieder zu verkleiden. Von meinem Busen zeige ich, was ich habe (so gut wie gar nichts). Den Bartschatten schminke ich über. Meine Kleidung ist der Großstadt modisch anpepasst (wozu durchaus auch Jeans gehören). Bis zu einem gewissen Grad habe ich mich eingelebt. Die Panikstimmung der ersten Tage ist fast verflogen. Es gibt Ansätze von Normalität.

Es fällt mir schwer, bei der Bearbeitung dieses Artikels, diese Szenen noch einmal mitzuerleben. Dabei herausgekommen ist ein Fragment der ersten sechs Tage. Die Generalprobe und die ersten zwei Tage im Betrieb.

Donnerstag

Jetzt zum ersten Mal richtigen Alltagstest, mit den roten Schuhen und dem gelben Pullover. Bin ziemlich aufgeregt, aber zum Bahnhof bin ich ganz gut gekommen. Ich habe mich weder geschminkt, noch habe ich mir einen “falschen” Busen gemacht. Ein paar Haare kurz wegrasiert. Wenn’s klappt, wär’s echt Klasse.
In der S-Bahn setzt sich eine Frau in meinem Alter neben mich. Völlig gleichgültig. Wirft mir nach einer Weile ein paar kurze Blicke zu, strickt ungerührt weiter. Etwas später fragt eine ältere Frau, ob wir beide nicht Platz machen könnten, drei Frauen auf einer Bank. Sonst hat noch niemand sonderlich geguckt. Beim Fahrkartenautomaten machen mir zwei Typen Platz, kurzer Blick. Ich habe noch ein sehr flaues Gefühl, aber die Reaktionen sind gelassen. Bisher läuft es sehr gut. Die Frauen beim Arzt ließen sich nichts anmerken. Ich muß noch wegen eines Rezeptes eine Weile warten. Beim Rausgehen hält mir ein älterer Herr die Tür auf, komisch.
In der Apotheke lächele ich die Frau an, die mich nicht einmal verabschiedet, so irritiert ist sie von dem Namen auf dem Rezept. Auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz, vor Karstadt, nichts besonderes passiert.

Das ist einer der glücklichsten Momente in meinem Leben. Ich bin endlich ich, ohne Verkleidung und trotz 1,86 m. Wenn ich auch noch etwas ängstlich bin, fühle ich mich doch sehr erleichtert.
Ich sehe zwar immer noch “männliche” Züge an mir, bin wohl zu selbstkritisch. Obwohl, das dicke Ende kann noch kommen. Kaufe mir rote Ohrstecker, ohne Probleme. Schaue mir Frauenbücher an.
Eine Frau geht mit einem “Oh!” an mir vorbei und als ich ihr nachsehe, blickt sie mich an, als wenn sie mich mit jemanden verwechselt hätte. Mein Selbstvertrauen ist jedenfalls erschüttert. Fühle mich auch wieder mehr beobachtet.

Samstag

“Du siehst gut aus!”, damit verabschiedet sie mich und das tut mir sehr gut. Bartschatten leicht übergeschminkt, der ist nicht wegzuzupfen gewesen. Fühle mich wieder viel besser so.
Im Bus nach Planten und Blomen, Enten füttern, mit den Kindern. Keine Reaktionen. Die Leute kümmern sich nicht um mich. Wir gehen bei “Stilke” am Schaufenster vorbei. Dahinter schaut ein Mann heraus, sieht mich und lenkt seinen Blick auf meine Beine, Männerblick! Auf die Frauentoilette traue ich mich noch nicht, nur nichts Überstürzen. Eigentlich läuft es zu glatt, ich gewöhne mich hieran. Will es gar nicht mehr anders.

Sonntag

Es ist doch erstaunlich, die Leute wollen in mir die Frau sehen. Wir sind über den Jungfernstieg gegangen, zwischen hunderten von Sonntapsspaziergängern. Dann die Mönckebergstraße hoch und nicht eine Reaktion. Im Spiegel hätte ich x-mal den “Mann” in mir gesehen, aber niemand kümmert sich um mich. Selbst auf dem S-Bahnhof, nichts. Bin immer noch sehr ängstlich. Hier auf der Schanze beobachten mich zwei Typen. Eine Frau mit Kind, geht zu ihrem Mann und berichtet, sie sehen zu mir. “Entlarvt”? Ansonsten langweilig. Fühle mich unsicher, elend. Bin genervt. Nun sitzen wir im Bus und nichts ist passiert, Normalität?

Das Foto entstand kurz nachdem mir der Kontakt zu meinen Kindern verboten wurde. Ein damals üblicher Umgang mit lesbischen und/oder trans Frauen.

Montag

Morgens gleich ein Mädchen an der Bushaltestelle, sieht mich an. Nein, doch nicht gleich zu Anfang. Als ich in den Bus einsteige, fühle ich mich angesehen. Es läuft eigentlich wie die letzten Tage auch, die Leute interessieren sich nicht für mich. Dafür bin ich reichlich nervös und habe Anpst. Sollte es zu einer “Panne” kommen, breche ich das Ganze ab. Wenn diese quälende Unsicherheit nur nicht wäre, diese “FingerzeigeAngst”.

Thomas war der Erste, der mich so sah, guckte ganz schön. Kathi meinte, ob ich nicht einen “Schaden” hätte und ob ich nicht auffalle, ich sehe so weiblich aus. Frank und Thorsten lachten lauthals, auch Christian und Andreas. Die Frauen guckten alle, blieben aber cool. Ich bin zum Ausbilder rein, er hat Verständnis und unterstützt mich vorbehaltlos.
Ich saß also auf einem Tisch, bestaunt von den Leuten, schwitzend und nervös. Eine ganze Weile. Bis ich mich entschließe und mich in eine Ecke setze und um Aufmerksamkeit bitte. Zuerst kommen sie nicht heran und brabbeln noch. Ich spreche schlicht, etwas mürrisch: ich bin transsexuell, in ärztlicher Behandlung, müsse den Alltagstest machen und möchte jetzt Cornelia genannt werden. Fragen würde ich mich stellen. Alles absolut still. Ich war alleine, sie warfen mir nur noch merkwürdige Blicke zu. Bis sich schließlich Sabine zu mir setzt und sich alles erklären lässt und mich ganz toll findet. Ich erkläre ihr alles, soweit sie fragte. Das ist sehr lieb. Kathi kommt zu mir, meint, das wäre wieder ein “Spleen” von mir. Ich erkläre auch ihr soweit alles.
Traue mich nicht auf die Frauentoilette, kann aber auch nicht zu den Männern. Leide entsetzlich, quäle mich herum. Bin kaputt, genervt und warte ab. Sabine kämmt mir die Haare, Frauke unterhält sich mit mir. Ich ändere meine Stempelkarte.
Mit Frauke fahre ich in der S-Bahn zurück. Sie unterhält sich ganz ungezwungen mit mir. Sie meint, heute morgen habe sie mich fiir eine der Frauen aus der anderen Firma gehalten, ähnlich wie Sabine. Dass sie meinen Umstieg so ganz gut finde und daß sie meinen Mut bewundere. Es lief, im großen und ganzen sehr gut. Auch wenn die meisten an eine Marotte von mir glauben, haben sie hoffentlich begriffen, daß ich es ernst meine. Sie verhalten sich sehr zurückhaltend  und sehen darüber hinweg. Ich bin jedenfalls nicht ausgeschlossen worden, man reagiert auf mich.

Dienstag

Mein Selbstbewusstsein steht und fällt mit meinem Äußeren. Heute morgen habe ich das Gefühl, ich bekomme meinen Bartschatten nicht weggeschminkt. Ich will schon nicht los. Fühle mich entsetzlich unsicher. Stand nervös an der Bushaltestelle und fühle mich schrecklich beobachtet, als ich einsteige. Vor allem von einem jungen Mädchen mit ihrer Mutter. Von jungen Leuten fühle ich mich ohnehin ständig beobachtet.

Ein blöder Tag. Ich fühle mich schrecklich. Sabine meint, ich solle mich mit Rouge schminken. Frauke sagt, ich solle mich nicht so affektiert bewegen, das mache keine Frau. Ich bin fertig.
Sabine und Frauke sagen “Conny”, der Rest vermeidet es, mich mit Namen anzusprechen oder sagen “er”. Fühle mich sehr unsicher, bin müde, kaputt. Fühle mich nicht sehr wohl. Ich muß einen Bogen mit alten Namen ausstellen, Ätzkram. Ich habe keine Lust mehr.

In der S-Bahn nun auch noch drei Mädchen mir gegenüber . Ich spüre, wie mir die Hitze ins Gesicht steigt. Stelle mir vor, wie die über mich tuscheln und auf mich zeigen. Ich bin völlig fertig und will im Erdboden versinken. Es ist sehr warm, was mir sehr zu schaffen macht.
Es ist sehr schlimm, dass ich keinen Busen habe und ich überlege, ob ich nicht Fehler mache, weil ich eine mögliche “Entlarvung” so erleichtere. Bin total mit Selbstzweifeln überfrachtet. Sah mich im Spiegel an, ob vielleicht Bartstoppeln durchschimmern, nicht mehr, als sonst auch. Was ich mich über diese Hitze ärgere. Mir läuft das Wasser runter, ich fühle mich “entdeckt”. Denke, ich werde ohnmächtig. Sie sitzen mir stumm gegenüber und ich sehe sie in meinem geistigen Auge sich gegenseitig zunicken, in Bezug auf mich. Ich stütze meinen Kopf in die Hand und kann nicht weiterschreiben. Aber als ich rausgehe, mühsam, sehen sie mir nicht einmal nach.
Im Bus fühle ich mich wieder beobachtet. Ich bin völlig fertig, fühle mich entrückt, weg. Obwohl es viel mehr Leute gibt, die nicht gucken, die mich durchgehen lassen, die zumindest so tun, fühle ich mich todunglücklich und bin müde und kaputt.

Trans und Alter

Veröffentlicht: Kost, C. (2018). Voices: Stories of Resilience. In Hardacker, C. & Ducheny, K. (Hrsg.),  Transgender and Gender Nonconforming Health and Aging. (S. 217f). Berlin: Springer. Der Artikel wurde von mir hier gekürzt veröffentlicht.

Mit 56 Jahren arbeite ich seit 24 Jahren als leitende Psychologin in einem Unternehmen der Suchtkrankenhilfe. Wir betreiben mehrere Kliniken und zahlreiche Beratungsstellen. Im Alter von 23 Jahren habe ich meine Transition begonnen und wurde ein Jahr später operiert. Seit 32 Jahren lebe ich in meinem Geschlecht, davon die meiste Zeit stealth.
Während der Transition musste meine Ehe wegen der geltenden Gesetze (TSG) beendet werden. Aus der Ehe habe ich zwei Kinder und mittlerweile 3 Enkelkinder.
Nach einem Zwangsouting gegenüber meinem heutigen Ehemann, habe ich im Alter von 54 Jahren wieder geheiratet und wir haben ein Pflegekind aufgenommen.

In den 80er Jahren war die Gruppe der Transsexuellen noch klein und diejenigen, die den ganzen Weg gingen waren noch weniger. Die Szene war geprägt durch die Frauen (amab). Deshalb ist die Gruppe der älteren Transsexuellen klein, deren Transition schon lange zurückliegt. Viele leben stealth und wollen keinen Kontakt zur Szene mehr. Unter den Älteren sind heute vor allem spät transitionierende Menschen öffentlich wahrnehmbar. Diese bringen die gesundheitlichen Themen mit, die für alle Transsexuelle am Anfang ihres Weges stehen.

Körper

Obwohl es heute möglich ist, wird den meisten Transsexuellen viel zu spät geholfen und sie müssen ihre Pubertät beenden. Zu meiner Zeit war eine Hilfe vor der Pubertät undenkbar und zu den lebenslangen Folgen gehören Dysphorien. Sie beziehen sich auf Körpergröße und –proportionen, Gesicht, Haare und Stimme. Da solche Phänomene für Frauen typisch sind, lassen sie sich im Rahmen von Selbstwahrnehmungsgruppen mit anderen (Cis)Frauen gut bearbeiten. Ganz verschwinden werden sie wohl nie. Die genitalangleichende Operation hat mein transsexuelles Wahrnehmen wirkungsvoll und endgültig beendet.

Der Bart wurde mit elektrischer Nadelepilation entfernt. Eine sehr schmerzhafte und langwierige Prozedur. Da ich stealth lebte, konnte ich die Termine nur in größeren Abständen machen, da das Gesicht sehr anschwoll und der Bart eine Mindestlänge brauchte. Die Krankenkasse versagte schließlich die Kostenzusage und ich muss mit den Bartresten bis heute leben.

Mit 22 Jahren bin ich an zwei Ärzte geraten, die mir die Transsexualität wegtherapieren wollten. Dass ich mich zwei Mal versuchte zu Suizidieren, hat seine Ursache in dem schweren Trauma der Konversionstherapie. Jede Art von nicht-unterstützenden Behandlungsmaßnahmen gehören verboten.

Erst nachdem ich diese Ärzte gewechselt hatte, bekam ich Hilfe und zum ersten Mal Hormone. Für mich ist die lebenslange Hormoneinnahme mit diesem Trauma verbunden. Hormone sind für mich die Erlaubnis zu leben und diese Erlaubnis muss ich mir regelmäßig im Jahr neu holen. Das führt mich fast immer an die Grenze zur Retraumatisierung.

Den Abschnitt Körper möchte ich damit abschließen, dass alt werden mit Transsexualität etwas ganz Normales hat. So habe ich eine Osteokleose von meiner Großmutter geerbt und sie kam unter dem Einfluss von Östrogenen zum Ausbruch. Weil sie nur die Frauen in meiner Familie befällt, wird sie für mich immer ein wunderbarer Beweis für meine biologische, weil genetische, Weiblichkeit jenseits von XY-Chromosomen sein.

Psyche

Transsexualität ist ein Generationenthema, sofern Kinder vorhanden sind. Kinder erleben ähnliche Diskriminierungen, wie ihre transsexuellen Eltern. Sie müssen sich mit dem Thema Outing auseinandersetzen und das setzt sich in die folgende Enkelgeneration fort. Für mich selber habe ich mein ganzes Leben ein und dasselbe Geschlecht, meine Angehörigen haben das als Geschlechtswechsel erlebt. Für mich sind die Begriffe Vater, Mutter, Großvater und Großmutter schwer zu fassen, für meine Kinder und Enkel ebenfalls. Es gibt also weitere Betroffene und andere Perspektiven.

Die Gesetze verlangen die Ehescheidung und die genitalangleichende Operation als Voraussetzung für die Vornamens- und Personenstandsänderung. Deshalb wurde meine Familie von Staats wegen zerstört und die Folgen ziehen sich mittlerweile in die dritte Generation. Vornamens- und Personenstandsänderungen sollten bei allen Institutionen auf Antrag unbürokratisch möglich sein. Allein das kann großes Leid bei Unbeteiligten und völlig unschuldigen Kindern verhindern.

Obwohl das Offenbahrungsverbot für Transsexuelle gilt, bin ich immer wieder zu Outings gezwungen. Vor allem in behördlichen Kontext werden alle Beteiligten in völlig unnötige und peinliche Situationen gezwungen. Für die Ehe war eine Abstammungsurkunde notwendig, die alle Änderungen enthielt. Bei jeder Rentenberatung ist ebenfalls eine Offenlegung meiner Lebensgeschichte notwendig. Menschen wie ich sind häufig in gesellschaftlichen Strukturen nicht vorgesehen.

Mein ganzes Leben lang wollte ich nicht transsexuell sein. Ich habe in meinen jungen Jahren wirklich alles versucht, um ein Mann zu sein. Als ich endlich verstanden habe, wer ich bin, wollte ich den Fehler „Mann“ ungeschehen machen. Ich habe immer mit der Angst des Outings gelebt. Viele meiner Lebensentscheidungen habe ich dieser Frage untergeordnet. Meine politische und berufliche Kariere habe ich bewusst begrenzt, weil ich keinem Menschen aus meiner Vergangenheit begegnen wollte. Die Bedeutung dieser Entscheidung bekam ich zu spüren, als ich trotzdem wegen meiner Transsexualität erpresst wurde. Mich hat das stealth leben von den Menschen in meinem engeren Umfeld entfernt. Am deutlichsten wurde es mit meinem Mann, dem ich 20 Jahre lang nichts über meine Transsexualität sagen konnte. Erst nach meinem Outing konnte ich Nähe zu ihm zulassen. Folglich verstehe ich meine dysphorischen Phasen im Alter als internalisierte Transphobie. Daraus den Umkehrschluss zu ziehen, wenn erst die Transphobie beseitigt ist, hätte ich mit meinem Körper leben können, ist falsch. Für mich ist es ganz einfach, wenn ich nicht als Frau leben kann, bin ich tot.

Dabei ist mein Leben am leichtesten und fühlt sich am richtigsten an, wenn ich einfach nur die Frau sein kann, die ich bin. Dass ich mein Leben der Hilfe anderer Menschen gewidmet habe, hat viel mit der Dankbarkeit zu tun, die ich gegenüber dieser Gesellschaft empfinde, die es mir gestattet hat, als Frau zu leben.

EPPENDORFER 4/21 zu trans

Der neue EPPENDORFER 4/21 bildet ein breites Spektrum ab. Ein Schwerpunkt ist das Thema Transgender. Dabei geht um die aktuelle Versorgungssituation, das Leid betroffener Kinder und Jugendlicher – und um das, was in einer Psychotherapie mit Betroffenen wichtig ist.

Die erste Seite des Berichts ist hier zu lesen: https://docs.google.com/viewerng/viewer?url=https://eppendorfer.de/wp-content/uploads/2021/07/eppendorfer_4-21-1.pdf&hl=de

Die vollständige Printausgabe ist unter info@eppendorfer.de einfach probehalber und kostenfrei ins Haus zu bestellen!

TDOR 2020 in Hamburg

Zum dritten Mal fand in Hamburg ein TDOR statt. Corona begrenzte die Zahl der Teilnehmenden. Wir dokumentieren hier die Reden. Sie enthalten Informationen, an denen weiter gearbeitet werden muss. Im Anschluss wurde der Ermordeten gedacht, durch eine Schweigeminute und dem Verlesen ihrer Namen durch die Anwesenden, die das wollten.

  1. Rede von Greta Bollig, dgti
  2. Rede der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von Dr. Susann Lewerenz, gehalten von Dr. Iris Groschek
  3. Grußadresse der Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“, gehalten von Daniel Schiano

Rede von Greta Bollig

Liebe Menschen,

heute treffen wir uns hier im ehemaligen KZ Neuengamme an einem geschichtsträchtigen Ort, um unsere Trauer und Sorge am TDOR Tag auszudrücken. Es ist mir eine Ehre, hier eine Rede halten zu dürfen. Dafür möchte ich mich schon vorab bedanken.
Wer zum ersten Mal an dieser Mahnwache teilnimmt, dem möchte ich kurz erläutern, was TDOR, also Transgender Day of Remembrance ist, und wie es dazu kam, dass wir jedes Jahr an diesem Tag den weltweit ermordeten Transgender Menschen Gedenken.

Am 28. November 1998 wurde die afro-amerikanische Sängerin und Performerin Rita Hester aus Boston mit 30 Stichwunden in ihrem Apartment gefunden. Sie verstarb kurz nachdem sie ins Krankenhaus eingeliefert wurde an einem Herzinfarkt. Ritas Familie und Freunde aus der Trans*-Community kamen daraufhin zu einer Mahnwache vor Ritas Haus zusammen. Ihre Mutter Kathleen sagte: “Ich wäre gerne an deiner Stelle gestorben. Ich hätte mich niederstechen lassen und dir gesagt, du sollst wegrennen. Ich habe dich geliebt.” Aus dieser Mahnwache entstand TDOR, der nun weltweit zum 22. Mal begangen wird.

Das KZ Neuengamme schlägt eine Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Dieser Ort ist der Beweis, dass sich eigentlich nicht viel verändert hat zwischen damals und heute. Die Diskriminierung gegenüber Menschen, die anders sind, hat sich nicht geändert. Weiterhin wird weltweit verbale und physische Gewalt gegen uns verübt. Es wird gemordet, und die meisten Taten bleiben ungesühnt.
Hier war neben anderen auch eine französische Transfrau interniert. Ich möchte die Geschichte kurz halten, da Frau Lewerenz dazu sicher besser und ausführlicher Stellung nehmen kann.
Diese Transfrau ist bekannt unter dem Namen Ovida Delect. Im Frühjahr 1944 wurde sie in Frankreich festgenommen, noch keine 18 Jahre alt, und verschleppt nach Neuengamme. Schon damals wußte sie, dass sie eine Frau ist. Obwohl sie offiziell erst 1981, mit 55 Jahren ihr Coming Out hatte. Sie überlebte die Todesmärsche. Dafür waren zwei Dinge wichtig: Das eine war, im Kopf Lyrik zu komponieren, um sie später, wenn alles vorbei sein würde und es Papier geben würde und Stifte, niederzuschreiben. Das andere ein Zitat von ihr
„Tatsächlich war die Anomalie, die meinen Fall ausmachte, auch die Wurzel eines ganzen Universums im Inneren, das mir ermöglichte, zu überleben“, schrieb sie unter ihrem Autorinnennamen Ovida Delect 1994, zwei Jahre vor ihrem Tod in einem Buch.
Da schildert sie, wie sie sich, im Lager, in Frauenkleider träumt, in rauschende Roben, parfümiert und elegant, „während ich in gestreiftem Anzug als Teil einer Herde Durchnummerierter nah einer Hansestadt marschierte, im Visier der Wachtürme“. Über sie wurde Mitte der 1980er Jahre einer der ersten Dokumentarfilme überhaupt gedreht, in denen eine Transperson ihr Leben erzählt.
„Ich bin ein lebender Leichnam, der für Leichenberge steht“, hat sie, nach ihrer Befreiung, ihre literarische Rolle bestimmt. Manche ihrer KZ-Gedichte sind von einer beängstigenden analytischen Klarheit. Ihr Thema ist nicht so sehr das Überleben, sondern wie das Böse das Böse weckt in den Menschen, wie Hungernde einander den Löffel klauen und den Blechnapf. Die Qualen sind eine Schule des Hasses.
„Oppressés, compressés“ heißt es in einem titellosen Gedicht, das nach einem Marsch barfuß übers vereiste Land entstanden ist, im Januar 1945, wahrscheinlich bei Meppen, wo sie seit Herbst 1944 im Außenlager Versen einsaß: „Unterdrückt, zusammengedrückt, / erbosen sich die Häftlinge / des rasselnden Hustens wegen / Und des jämmerlichen Klagens / Der Sterbenden, die sich noch regen.“

Bei solchen Worten läuft es einem eiskalt den Rücken herunter. Es fällt mir schwer, wieder in das Hier und Jetzt zu finden. Denn mir graut es davor, zu lesen was jetzt kommt. Die Nachrichten könnten nicht schlechter sein. Insgesamt wurden zwischen dem 1. Oktober 2019 und dem 30 September 2020 350 Morde an Trans und genderdiversen Menschen registriert. Die Steigerungsrate betrug sechs Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Das mag sich nicht nach viel anhören, doch seit der ersten Erfassung dieser Morde im Jahre 2008 bleibt eine traurige Tendenz bestehen. Das Wachstum bleibt linear. Jedes Jahr werden mehr Morde erfasst. Die meisten Morde wurden mal wieder in Brasilien verübt mit 152 Tötungsdelikten. Dahinter folgen México mit 57 und die USA mit 28 Opfern.

Greta mit Farid

98% der ermordeten waren Transfrauen oder Trans feminine Menschen 62% der ermordeten Transfrauen waren sex workers;
In den USA waren 79% der 28 ermordeten People of colour;
11 Trans Personen wurden in Europa ermordet, davon die Hälfte Migranten; dazu gibt es aber widersprüchliche Statistiken, eine andere besagt, dass es 73% waren.
82% aller Morde wurden in Zentral- und Südamerika registriert, davon alleine 43% in Brasilien;
38% aller Morde wurden auf der Straße begangen, 22% der Menschen wurden in ihrer Wohnung oder Haus ermordet;
Das Durchschnittsalter der ermordeten Menschen liegt bei 31 Jahren. Die jüngste war 15 Jahre alt.
Anhand der gerade vorgelesenen Zahlen und Statistiken, ist das Hier und Jetzt eine Fortsetzung des Gruselns, unter anderen Vorzeichen, weil nicht staatlich verordnet, aber die Diskriminierung des Staates bleibt uns erhalten. Auf eine Reform des Transsexuellenrechts können wir wohl noch lange warten. Weiterhin durchlaufen wir die Mühlen von Psychologen, Gerichten und Krankenkassen. Jeder und Jede von uns hier kann ein trauriges Lied von diesen Schwierigkeiten singen. Als Beispiel, nur um sich das mal vor Augen zu führen. Die Rednerin durfte 35 Monate Therapie durchlaufen, und fünf Mal wurden ihre Anträge von der Krankenkasse wegen Nichtigkeiten abgelehnt. Dann, genau während dieser Ablehnungsflut, werde ich angerufen mit den Worten „helfen sie mir, sonst bringe ich mich um. Ich bin zwei Mal abgelehnt worden. Was, und ich meine das als Anklage, was macht das mit uns? Es gibt keine Bevölkerungsgruppe, die eine höhere Suizidrate hat als Transidente Menschen! Nicht weil wir uns nicht ausstehen können, sondern weil wir institutionell diskriminiert werden. Weil wir verbal und physisch diskriminiert werden. Weil wir nicht für voll genommen werden.
Wir brauchen dringend eine Reform des Transsexuellen Rechts, eine Verbesserung der Gesundheitsversorgung, das verstärkte Einbinden von Selbsthilfegruppen, der Abbau von Stigmatisierung und natürlich eine in unserem Sinne positive Änderung und Ausbau des Antidiskriminierungsrechts. Wir bauen auf Sie, liebe Politikerinnen und Politiker, dass Sie, wo auch immer, den gleichen langen Atem beweisen wie wir, und uns in unserem Anliegen unterstützen. Wir brauchen Sie! Ich habe eine Idee, wie die Zukunft für uns besser aussehen könnte. Das, was wir erlebt haben und zur Zeit erleben, kann sich ändern. Wir müssen es herbeiführen.
Viele Menschen in einem schon etwas fortgeschrittenen Alter, sind schwer von ihren Vorurteilen zu heilen. Mein Traum wäre es, die Jüngeren in Schulen anzusprechen, Vorträge zu halten, zu zeigen, dass wir Transidente Menschen nur ein Teil der großen Geschlechtsvielfalt sind. Vielleicht ist es möglich, dass dafür in der Zukunft Mittel bereit gestellt werden könnten. Denn wenn wir die Jugend erreichen könnten, dann wäre mir um die Zukunft nicht bange.
Bitte lasst uns jetzt die Namen der Opfer vorlesen! Vielen Dank!

Die Namen der Ermordeten werden verlesen.

Rede der KZ-Gedenkstätte Neuengamme von Dr. Susann Lewerenz, gehalten von Dr. Iris Groschek

Sehr geehrte Anwesende,

wir gedenken heute dem Schicksal transgeschlechtlicher Menschen, die im Nationalsozialismus aus der Öffentlichkeit gedrängt, diskriminiert und verfolgt wurden.

In den Jahren der Weimarer Republik hatten sich die Möglichkeiten für transgender Personen, ihre Identität öffentlich zu leben, erheblich erweitert. Unter nationalsozialistischer Herrschaft verschärften sich der Zwang zur Heterosexualität wie auch die Norm der Zweigeschlechtlichkeit jedoch wieder massiv. Das NS-Regime ging verstärkt gegen Abweichungen von der von ihm vertretenen Geschlechterordnung vor – in erster Linie gegen Homosexualität, teilweise aber auch gegen Abweichungen von den propagierten Geschlechternormen.

Nicht ohne Grund stehen wir bei der heutigen Gedenkveranstaltung zum „Transgender Day of Remembrance““ am Gedenkstein für die Häftlinge, die unter dem Vorwurf der Homosexualität in das Konzentrationslager Neuengamme verschleppt worden waren: Denn transgeschlechtliche Personen wurden vor allem dann verfolgt, wenn Ihnen Homosexualität vorgeworfen wurde. Und für das NS-Regime standen sie vielfach generell unter Homosexualitätsverdacht, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung. Dies galt vor allem für Trans-Frauen, teilweise aber auch für Trans-Männer.

An ein Hamburger Schicksal möchte ich hier erinnern: das von Liddy Bacroff. 1908 in Ludwigshafen geboren, zog sie nach einer Verurteilung nach § 175 Anfang der 1930er-Jahre nach Hamburg. Sie ging dort gern in die Kneipen „Adlon“ und „Komet“ – damals wichtige Treffpunkte für zu jener Zeit als „Transvestiten“ bezeichnete Trans-Personen. In den 1930er-Jahren wurde sie zu weiteren Haftstrafen wegen Homosexualität und Sexarbeit verurteilt. In ihrer Haft schrieb sie über ihre Erfahrungen als „Transvestit“ und Sexarbeiterin. Auch im Blickpunkt polizeilicher und medizinischer Untersuchungen stand immer wieder ihre Transgeschlechtlichkeit. Unter dem auf sie ausgeübten Druck stellte Liddy Bacroff 1938 einen Antrag auf „freiwillige Kastration“. Im gleichen Jahr wurde sie wegen erneuter Sexarbeit als so genannter „gefährlicher Gewohnheitsverbrecher“ zu drei Jahren Zuchthaus mit anschließender Sicherungsverwahrung verurteilt. Sie wurde ins Zuchthaus Bremen-Oslebshausen gesperrt, dann in die Sicherungsanstalt Rendsburg und 1942 schließlich in das Konzentrationslager Mauthausen. Dort wurde sie 1943 ermordet.

Über die individuellen Schicksale von Trans-Personen, die im Nationalsozialismus verfolgt wurden, ist bis heute nur wenig bekannt. Die Quellen, aus denen sich Näheres über ihre Verfolgung erschließen lässt, stammen fast ausschließlich aus medizinischen Unterlagen oder aus der Hand staatlicher Instanzen wie der Polizei und der Justiz. Sie geben damit den Blick von außen und meist den Täterblick wieder. Demgegenüber sind nur wenige Selbstzeugnisse von transgeschlechtlichen Menschen überliefert. Entsprechend gibt es auch kaum biografische Forschung, die das Leben transgeschlechtlicher Personen in ihrer Vielfalt und Individualität sichtbar werden lässt.

In diesem Sommer haben Renée Adele Grothkopf und Tamara Löwenstein, zwei freie Mitarbeiterinnen der KZ-Gedenkstätte Neuengamme, unter dem Hashtag „#Prideuntold“ das Instagram-Account der Gedenkstätte übernommen und an die Schicksale einer Reihe queerer Menschen im Nationalsozialismus erinnert. Sie schrieben dazu:

„Wir wissen, dass es viele andere gibt, deren Geschichten vielleicht nie bekannt werden – über deren Leben vielleicht nie geschrieben wird. Diejenigen, die ungeoutet blieben, diejenigen, die gerade out waren, diejenigen, die mit ihrem Geschlecht kämpften, es zelebrierten oder einfach nur leben wollten. Diejenigen, die ein Leben außerhalb der akzeptierten Norm führen wollten oder führten. Here, we call upon our imagination to remember them in the archives of our minds.“

Wie viele Trans-Personen im Konzentrationslager Neuengamme oder in einem seiner über 85 Außenlager inhaftiert waren, lässt sich aufgrund fehlender Quellen nicht sagen.

Bekannt ist jedenfalls die Inhaftierung von Ovida Delect hier in Neuengamme. Ovida Delect kam aus Frankreich, leistete im Zweiten Weltkrieg Widerstand gegen die deutsche Besatzung und wurde nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager Dichterin. Nicht zuletzt aufgrund dieser Tätigkeit sind von ihr umfangreiche Selbstzeugnisse überliefert – vor allem in Form von Gedichten sowie der Veröffentlichung ihrer Jugenderinnerungen.

Geboren 1927, wurde Ovida Delect Anfang 1944 mit nur 17 Jahren als Mitglied einer kommunistischen Widerstandsgruppe an ihrer Schule im deutsch besetzten Nordfrankreich verhaftet. Sie wurde unter Folter verhört und schließlich in das KZ Neuengamme verschleppt. Im Frühjahr 1945 wurde sie im Zuge der Auflösung der Konzentrationslager auf einen der berüchtigten „Todesmärsche“ geschickt. Befreit wurde sie vermutlich in Sandbostel bei Bremervörde, einem Kriegsgefangenen- und Auffanglager des KZ Neuengamme.

Erst viele Jahre später, im Alter von 55 Jahren, offenbarte sie sich als Frau und gab sich den Namen Ovida Delect. Doch bereits während ihrer KZ-Haft war sie sich ihrer weiblichen Identität bewusst gewesen. Tatsächlich hatte dieses Bewusstsein während ihrer Inhaftierung im Männer-Konzentrationslager Neuengamme sogar eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für ihr Überleben gehabt.

1994, zwei Jahre bevor Ovida Delect starb, erschien ihre Autobiografie. Darin schildert sie, wie sie sich in der KZ-Haft vorstellte, Parfüm und elegante, rauschende Frauenkleider zu tragen, während sie tatsächlich „in gestreiftem Anzug als Teil einer Herde Durchnummerierter nah einer Hansestadt marschierte, im Visier der Wachtürme“. Ovida Delect trug ihre „Abweichung von der Norm“, ihre weibliche Identität, während der KZ-Haft gleichsam versteckt wie ein kostbares Juwel mit sich. Der Kontrast zwischen ihrem Innenleben, in dem sie sich mit Attributen des Weiblichen umgab, und der Hölle der Außenwelt, die das KZ Neuengamme darstellte, habe ihr geholfen, die Schrecken des Lagers durchzustehen – ihr verborgenes Frau-Sein habe „die Wurzel eines ganzen Universums im Inneren“ gebildet, das es ihr „ermöglicht“ habe „zu überleben.“

Ihre frühen Gedichte, die sie noch unter ihrem „Deadname“ veröffentlichte und in denen sie unter anderem ihre Erfahrungen in KZ-Haft verarbeitete, wurden noch von einem renommierten französischen Verlag publiziert. Als sie jedoch begann, sich in ihren Veröffentlichungen für die Rechte von Schwulen, Lesben und Transgender einzusetzen, änderte sich dies – diese Publikationen wurden nur noch in kleinen Verlagen und in geringer Auflage herausgebracht. Lange klammerte die öffentliche Erinnerung an ihren Widerstand gegen die deutsche Besatzung und ihre Verfolgung durch das NS-Regime ihr Leben als Ovida Delect aus.

Sorgen wir dafür, dass sich dies ändert. Lassen Sie uns die Geschichten von Trans-Personen, die im Nationalsozialismus ihre Identität nur im Geheimen und in ständiger Angst vor Repression leben konnten, die diskriminiert und verfolgt wurden, erzählen und an ihre Schicksale erinnern.

Vielen Dank.

Daniel (re) verliest die Grussadresse als Schlußwort.

Grußadresse der Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“, gehalten von Daniel Schiano
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Liebe Veranstalter*innen,
liebe Transgender, Dykes, Homos, Queers, Lesben, Frauen, Jungs und Mädels
liebe Alle

2014 hatten wir als Gruppe das Bedürfnis bei den jährlichen Befreiungsfeiern des ehemaligen Konzentrationslagers Ravensbrück und der Uckermark ein Gedenken an die verfolgten und ermordeten lesbischen Frauen und Mädchen zu veranstalten.
Wir standen als relativ kleine Gruppe am See, der an das Gelände grenzt, hatten Blumen dabei und haben uns das Wenige erzählt, das zu Lesben und deren Verfolgung während des Nationalsozialismus für uns zugänglich war.
Indem wir dort standen und bemerkten, dass das Wenige und auch der Rahmen der Veranstaltung dem, was uns bewegte, nicht gerecht wurde, hatten wir uns für 2015 erstmals überlegt, eine tönerne Kugel mit Inschrift niederzulegen – und auf dem Gelände als ein sichtbares Erinnerungszeichen zu hinterlassen.

Seit 2016 versuchen wir mit Anträgen an die offiziellen Entscheidungsträger und -trägerinnen der Mahn- und Gedenkstätte den dauerhaften und anerkannten Verbleib der Gedenkkugel am neuen Gedenkort zu erwirken.
Wir stoßen damit auf Widerstände, aber auch auf anhaltende Unterstützung von hunderten Menschen aus aller Welt. Daraus sind Beziehungen und Freundschaften entstanden, die im politischen Wind von rechts wärmen und stärken.
Besonders freut uns die Verbindung zu den Lesben, die bereits in DDR Zeiten den lesbischen Frauen vor Ort gedenken wollten – entgegen der Widerstände der damaligen Gedenkstättenverwalter und der Staatssicherheit. Sie machen sichtbar, dass Widerstand Tradition und Geschichte hat.

Wir freuen uns, als Teil der queeren Community, dass ihr euch zur Gedenkveranstaltung zum Transgender Day of Remembrance zusammenfindet und an die erinnert, die in Neuengamme und den Außenlagern gelitten haben und ihr Leben lassen mussten.
Das Wenige, das über die Lebensgeschichten von Transgenderpersonen während des Nationalsozialismus bekannt sein dürfte, verweist auf die Lücken in der gegenwärtigen Gedenkkultur und Forschung, nicht aber auf das Bedürfnis denen zu gedenken, denen man sich im Herzen verbunden fühlt.

Mit solidarischen Grüßen
Initiative „Autonome feministische Frauen und Lesben aus Deutschland und Österreich“

Julien (15) mit Daniel

 

Kalkbruchsee

Der Kalkbruch in Lüneburg bei der Straße Volgershall war seit ca. 1900 in Betrieb. Hier wurde Kalk zur Zementverarbeitung in der Fabrik am Schnellenbergerweg/Grasweg abgebaut. Dorthin wurde er mit einer Kleinbahn gebracht, die parallel zur Jägerstraße verlief, vorbei am Eiskeller und am Kolk.

Der Bahndamm an der Jägerstraße.

Die Loren wurden mit einer Seilzuganlage nach oben gezogen. Die Straße nach Reppenstedt wurde durch einen Posten mit einer Fahne gesichert. Am Wochenende nutzte die ortsansässige Jugend eine Lore ohne Kippe und das beachtliche Gefälle Richtung Grasweg, um sich im Eisenbahnfahren zu üben. Dabei wurden erstaunliche Geschwindigkeiten erzielt.

Die versunkene Rampe 1987

Am Grund befand sich eine Arbeiterbude, in der sich der Sprengstoff befand. Es gab keine festen Gebäude im Zusammenhang mit der Anlage, bis auf eine Trafostation, deren Reste noch jahrelang im Gesträuch des Hügels an der östlichen Seeseite zu finden waren.

Mitte der 50er Jahre wurde der Betrieb aufgegeben. Die Gleise befinden sich noch heute am Grund des Sees, in 30m Tiefe. Bis heute gibt es noch einen betonierten Weg, der im See verschwindet.

Betonrampe zum See 1987

Der See diente in den Jahren danach als beliebter Freizeit- und Erholungstreffpunkt. Seit 1983 ist der See im Privateigentum des Lüneburger Angelsportvereins. Dieser hat den See im Sommer 2006 vor der Öffentlichkeit vollständig gesperrt.  Ein aggressiver Sicherheitsdienst patrouilliert, damit keine Badenden in den See gelangen. 

Kalkbruch 1987

Mein erster CSD

Mein erster CSD war der zweite in Hamburg, am Samstag den 20.06.1981, von gut 3.000 Menschen besucht. Danach fand im Rahmen des evangelischen Kirchentages die große Friedensdemo mit 70.000 Menschen statt. Die Bewegung hatte sich in Hamburg an der Frage der Radikalität gespalten. Diese “Stonewall 1981” Demo, vom Wasserturm Sternschanze aus, wurde von den “Radikalen” veranstaltet. Die zweite Gruppe veranstaltete vom 14. bis 27. Juni 1981 die “Lesben- und Schwulentage Interschwul”. So gab es 1981 zwei Schwulen- und Lesben-Demonstrationen: “Stonewall 1981” und “Interschwul 1981”.

Das Transsexuellengesetz (TSG) galt erst seit dem 01. Januar 1981, allerdings nicht für mich, mit damals 19 Jahren. Die Altersgrenze von 25 fiel erst 1982, dem Jahr als die sozialliberale Koalition endete. Wir hatten unglaubliche Angst, dass das TSG rückabgewickelt würde. So wie es heute in Ländern in Europa tatsächlich passiert. Im Juli 1984 hatte die am 05.09.2017 in Hamburg verstorbenen Transaktivistin Eva Maria Franziska Paredes die “Transsexuellen Initiative Hamburg” gegründet. Es war eine der ersten politischen transsexuellen Gruppen in Hamburg, damals im 1982 neu gegründeten Magnus-Hirschfeld-Zentrum. Im September 1984 stieß ich zu der Gruppe und bis 1986 blieb ich am MHC in der Selbsthilfearbeit aktiv.

Da es wegen Fotos der Polizei beim ersten CSD Auseinandersetzungen gab, wagte ich nur dieses verschämte Bild auf den Kundgebungs-LKW.
Der Tag endet für mich übrigens im “Renaissance-Club” an der Cuxhavener Straße in Hausbruch, damals der angesagteste Party-Tempel südlich der Elbe.

 

KZ Neugraben

Bilder vom Frauenaußenlager Neugraben des KZ Neuengamme. Es war bis Anfang der 70er mit Flüchtlingen aus Weißrussland bewohnt. Der Gedenkstein wurde mehrfach geschändet, so dass die Tafel am Ortsamt Neugraben angebracht wurde. Heute ist der Text eingraviert. Die Kommandantenbaracke stand am Falkenberg und war noch bis in die 80er bewohnt. Viele der Frauen, die hier Zwangsarbeit leisten mussten, wurden in Bergen-Belsen ermordet.

Teil von Geschichte

In dem Buch:
Hoenes, Josch und Koch, Michael_a (2017) Transfer und Interaktion : Wissenschaft und Aktivismus an den Grenzen heteronormativer Zweigeschlechtlichkeit. Monografie. BIS-Verlag, ISBN 978-3-8142-2347-6

gibt es das Kapitel von:
Elaine Lauwaert, “Zwischen Identitätspolitik und Aufgehen in Zweigeschlechtlichkeit
Betrachtungen von politischen Strategien von Trans*-Bewegungen in Deutschland in den 1980er Jahren”.

Dort wird ein Artikel zitiert, den ich zusammen mit der am 05.09.2017 in Hamburg verstorbenen Transaktivistin Eva Maria Franziska Paredes für das TS Journal 6 (1986) über unsere Arbeit am MHC geschrieben habe. Ich zitiere aus S. 194-195:

[…]
Während zu Beginn der 1980er Jahre ein sehr starker Fokus auf eine Abgrenzung von Transsexuellen zu Transvestitismus gelegt wurde, um zwischen denjenigen zu unterscheiden, die medizinische »Unterstützung« in Anspruch nehmen konnten, und denjenigen, bei denen es »nur« um die sexuelle Ebene ginge, lässt sich ab Mitte der 1980er Jahre auch vereinzelt eine Tendenz zur Zusammenarbeit erkennen.76 Im TS Journal Nr. 6 (1986) stellte sich die »Gruppe Cornelia« vor, die sich als offen für »Fetischisten, Transvestiten, Transsexuelle – männl. und weibl.« bezeichnete und als Grund für diese Verbindung angab, das »wir zumindest einen Teil unseres Weges gemeinsam gehen, einen Teil unserer Nöte gemeinsam haben.«77 Ihnen allen wäre gemeinsam, dass sie es mit einer uninformierten Öffentlichkeit zu tun hätten, die sie mit »unmoralischen Lebenswandel und Abartigkeit« in Verbindung bringen würde. 78

[…] wir empfinden diese Haltung uns gegenüber bereits zu einem Zeitpunkt, zu dem wir uns über die Tragweite unserer Entwicklung selbst noch nicht bewußt sind. Das Empfinden des Andersseins, gängigen Wertvorstellungen nicht zu entsprechen, geht einher mit Angst und Schamgefühl, was schon zwangsläufig in die Isolation führt. In dieser Situation stellt man sich oft die Frage: ›Warum eigentlich kann ich nicht einfach so leben, mich so geben, wie ich mich empfinde?‹. Es entsteht der Wunsch, Mitbetroffene kennenzulernen, um über gemeinsame Sorgen und Nöte reden zu können und Wege zu suchen.79

Die als gemeinsam erlebte Diskriminierung führt hier dazu, dass sich Gruppen von Menschen verbinden, die unterschiedliche Selbstverständnisse und Themengebiete besetzen und nun gemeinsam versuchen, dem Druck der Gesellschaft etwas entgegen zu setzen.
[…]

77 Cornelia/Maria: »Gruppe Cornelia«, in: TS Journal 6 (1986), S. 13., 78 Ebd., 79 Ebd.

Kolk

Der Kolk ist ein ehemaliger Kalkbruch bei der Jägerstraße in Lüneburg. Er befindet sich heute in Privatbesitz und ist öffentlich nicht zugänglich.

Der Teich war die Badeanstalt der ortsansässigen Kinder aus dem Grimm und der Jägerstraße. Dort brachten sie sich nach dem 2. Weltkrieg gegenseitig Schwimmen bei, ohne elterliche Aufsicht. Im Süden, rechts vom heutigen Badesteg, war eine kleine Bucht, in der man 3-4m weit im Wasser stehen konnte. Der See ist mutmaßlich 50 m tief, ertrunken ist allerdings niemand.

Der Kolk

Das erste Ziel war der “kleine Felsen” in ca. 10m Entfernung Richtung Nordost. Nachdem das erschwommen war, wurde der “große Felsen” als Ziel erwählt, er lag ca. 10m weiter links. Wer das erreicht hatte, konnte schwimmen. Die folgende Mutprobe bestand darin, von der “kleinen Bucht” nordöstlich, um die Landzunge, den See zu durchschwimnen.

Blick vom „großen Felsen“

Sprünge wurden vom “kleinen” und “großen Felsen” unternommen. Beim “großen Felsen” waren 3 m Tiefe und eine Schräge zu überspringen, das war nur etwas für trainierte und mutige Kinder. Mein Vater neigte am “großen Felsen” zur Zurückhaltung.

Im Westen liegen Loren der alten Kalkbahn. 1945 haben englische Besatzungssoldaten einen nagelneuen PKW aus Jux im See versenkt, der liegt heute dort in 50m Tiefe. Südöstlich lag ein zweiter, kleinerer See. Der war schlecht zugänglich und wurde später zugeschüttet.

Schild

Nordöstlich liegen die heute zugewachsenen “2 Berge”, die damals im Winter den Jägerstraßen Kindern als Rodelbahn dienten. Die englischen Besatzungssoldaten hatten beim Eiskeller ein Camp und nutzten die “2 Berge” für Übungsfahrten mit ihren Motorrädern. Die Kinder freuten sich über Weißbrot mit Marmelade, die sie gelegentlich von den Soldaten bekamen.